Homburg, 20.05.2011, Interview Dieter J. Maier, Saar-Report

Zur Veröffentlichung von Micha Dudeks MEIN WILDER GARTEN: WEGE ZU ÖKOLOGIE UND NACHHALTIGKEIT am 8. März 2011 im Thorbecke Verlag, Ostfildern, erschienen.

Klappentext: Ökologie und Nachhaltigkeit sind in aller Munde, doch nur die wenigsten Menschen setzen dies im eigenen Garten auch um. Dabei ist es keineswegs kompliziert, ein wenig mehr Natur in den eigenen Garten zu holen. Micha Dudek stellt die einzelnen Gartenelemente wie Wege und Trockenmauern, Bauerngarten und Streuobstbestand als Lebensräume vor und weckt damit den Blick für das Kleine darin. Er erklärt, wie mit einfachsten Handgriffen die biologische Vielfalt um ein Vielfaches gesteigert werden kann. Denn bei allem ökologischen und nachhaltigen Denken und Handeln offenbart sich der Grundsatz: Natur funktioniert auch im Kleinen. Und jeder Quadratmeter eines ökologisch bewirtschafteten Gartenflecks trägt in der Summe zur Steigerung der Biodiversität und Lebensqualität bei - auch für uns Menschen.

DIETER J. MAIER, SAAR-REPORT: Herr Dudek, Ökologie und Nachhaltigkeit sind gerade in unserer heutigen, von Umwelt- und Naturkatastrophen geprägten Zeit ein wichtiges Thema geworden, doch nur wenige Menschen setzen dies auch im eigenen Garten um. Sehen Sie als studierter Landschaftsarchitekt und Umweltplaner heute den Garten als Ort wachsender Vielfalt, den es gerade in der kommenden Sommerzeit neu zu entdecken gilt?

MICHA DUDEK: In Gärten steckt ein gewaltiges, meist unterschätztes Potenzial. Alle potenzielle Wildnis hinterm Gartenzaun plus Weg- und Wiesenränder, die ländlichen wie die auf privatem Grund, machen eine erheblich größere Fläche aus als sämtliche Nationalparks zusammengenommen. Beim richtigen Umgang käme ihnen ein höheres ökologisches Gewicht zu als diesen Einrichtungen mit scheinbar höchstem Schutzstatus. Ihnen st¨nde am Ende selbst der Status eines eigenen, flächig allerdings sehr verteilten Nationalparks zu - oder sie würden all diese Einrichtungen eventuell sogar überflüssig machen.

DIETER J. MAIER: Sie erklären in Ihrem neuen Buch MEIN WILDER GARTEN: WEGE ZU ÖKOLOGIE UND NACHHALTIGKEIT die einzelnen Gartenelemente, wie Bauerngarten und Streuobstbestand, die Sie insbesondere als wichtigen Lebensraum für die heimische Tier- und Pflanzenwelt betrachten. Inwieweit kann die biologische Vielfalt hier nach Ihrer Ansicht um ein Vielfaches gesteigert werden?

MICHA DUDEK: In meinem Buch MEIN WILDER GARTEN: WEGE ZU ÖKOLOGIE UND NACHHALTIGKEIT beschreibe ich, wie leicht es ist, die natürliche Vielfalt in seinem Garten zu steigern. Es geht dabei vor allem darum, nicht alles mühevoll zu pflanzen. Wichtiger wäre es, die Strukturen dafür zu schaffen, dass sich Pflanzen ansiedeln, Pflanzengesellschaften ausbreiten und Tiergemeinschaften entwickeln können. Bedeutend wichtiger ist es, begleitende Literatur über Vegetations- und Bodenkunde zu studieren als Handbücher, die vorgeben, die Patentlösungen für alle Räume von München bis Hamburg zu haben und den gleichen Strukturen unterwerfen zu wollen. Welche Pflanzen für meinen Garten standortgerecht sind, lehrt die nähere Umgebung, die wir uns mit offenen Sinnen, unterstützt durch die richtige Literatur, erschließen können.
Es ist wenig nachhaltig gedacht, den Eingriff in geschützte Lebensräume unter Strafe zu stellen, nicht aber die Verhinderung ihrer Entwicklung! Jeder Quadratmeter eines ökologisch bewirtschafteten Gartenflecks trägt in der Summe zur Steigerung der Biodiversität und (auch der eigenen) Lebensqualität bei. Gärten sollten nicht mehr und nicht weniger als Puzzleteile in einem weitergedachten Netz der Standorte sein ...

DIETER J. MAIER: Was genau meinen Sie damit?

MICHA DUDEK: Gärten sollten sich harmonisch in die weitere Umgebung einpassen. Das heißt, es gibt keinen vernünftigen Grund, in einen Garten- oder Baumarkt zu gehen, um seinen Garten anschließend mit standortfremden Pflanzen und Zuchtsorten zu bestücken. Die jeweilige ortstypische natürliche Vielfalt - egal, wo in Deutschland - ist überwältigend und in jedem Fall ausreichend, ohne durch fremde Arten oder Zuchtformen ergänzt zu werden.
Und: Moderner Naturschutz sollte keinesfalls staatlichen Einrichtungen vorbehalten sein. Die einfachste Form des Schmetterlings- und Wildbienenschutzes wäre es daher, sich seinen Garten einfach einmal einen Monat, ein oder auch zwei Jahre entspannen zu lassen, ohne ihn dem Dauerstress durch ständiges Kürzen von Rasen und Gehölzen und Einbringen von Einwegpflanzen auszusetzen. Gemeint sind die zahllosen Stiefmütterchen, Eisbegonien etc. der Bau- und Gartenmärkte, die scheinbar günstig feilgeboten, jedoch mit erheblichem Einsatz von Düngern und Giften produziert werden. Im Übrigen halte ich diese Massenproduktion für lebensunwürdig.
Gärten bieten prinzipiell drei mögliche Modelle der Naturgartennutzung: Entweder sein Grundstück einem einzigen Lebensraum-Thema zu widmen, oder verschiedene Lebensraumtypen auf verhältnismäßig kleinem Raum darzustellen oder in der dritten Variante auf die Kommunikationsbereitschaft unter Nachbarn zu setzen, indem man sich fül;r eine gemeinsame Idee entscheidet und zusammenschließt, um einen oder mehrere Lebensraumtypen über mehrere Grundstücke hinwegzuziehen.

DIETER J. MAIER: Herr Dudek, MEIN WILDER GARTEN ist Ihr fünftes Buch - welche Philosophie verfolgen Sie mit Ihren Arbeiten?

MICHA DUDEK: Ich bin in den 1960er- und 70er-Jahren aufgewachsen. Das bedeutet, ich bin mit Leitfiguren wie Konrad Lorenz und Horst Stern, Bernhard Grzimek und Eberhard Trumler groß geworden. Für mich ist es ganz selbstverständlich, Natur ohne vorausgehenden Artikel zu nennen, Begriffe wie Männchen und Weibchen, Fressen, Fressfeind und Raubtier im deutschen Sprachgebrauch zu vermeiden. So halte ich es auch in meinen Büchern und Schriften. Denn: Rauben und Fressen entspringen einem menschlichen Wertesystem. Außerdem dürfte es wohl kaum angebracht sein, erwachsene Tiere - egal nun ob Fliege oder Gorilla - in einer verniedlichenden Form zu nennen. Und ein Artikel vor dem Wort Natur suggeriert nur einen unnötigen Abstand.
Auch im modernen Gartenbau wird oft in Folge unlogischer Denkprozesse operiert: Einerseits sind Vögel erwünscht, Blattläuse aber nicht. Die meisten Gartenbesitzer bekämpfen Blattläuse, obwohl sie wissen, dass Vögel diese zum Überleben benötigen. Dem unangebrachten Wertesystem entspricht es auch, Unterschiede zwischen Elstern und Amseln in ihrem Nahrungserwerb zu sehen: Jungvögeln nachzustellen ist böse, Regenwürmern aber nicht. Die meisten Gartenbesitzer vermeiden es, Zitrusfrüchte auf dem Kompost zu entsorgen, nicht aber gespritzte Pflanzen in den Garten zu verbringen usw. Bereits Horst Stern fand es paradox, dass sich die meisten Menschen am Urlaubsort an der natürlichen Blütenpracht erfreuen, zuhause aber zur Rasenkantenschere greifen.
Ich glaube, in den 70ern wurden große ökologische Chancen verpasst; wer weiß, wo wir heute stehen würden, wenn damals Horst Stern Bundeskanzler, Konrad Lorenz Bundespräsident und Loki Schmidt Bundesumweltministerin geworden wären...?

DIETER J. MAIER: Für viele Heckenpflanzen spielen Vögel eine wichtige Rolle für die Verbreitung ihrer Samen. Welche Anpflanzungsbeispiele können Sie in Ihrem Buch diesbezüglich dem Leser erläutern?

MICHA DUDEK: In MEIN WILDER GARTEN beschließe ich jedes Kapitel beziehungsweise die Vorstellung eines Gartenelementes mit der Beschreibung einer Tiergruppe. Für das Kapitel der Hecken habe ich die Vögel gewählt. Zwar kommen diese auch in anderen Teilen des Gartens vor und andere Tiergruppen bewohnen ebenfalls Hecken, doch kommt es bei uns Menschen zu einer berechtigten Assoziation zwischen Vogel und Hecke.
Hecken besitzen als räumlich verdichtete Lebensstätten einen konzentriert hohen ökologischen Wert. In artenreicher und einheimischer Form bilden sie Blätter, Blüten und Früchte, von denen sich entweder viele Vogelarten direkt ernähren können oder über die Insekten, die von diesen leben. Auch dienen Hecken vielen Vogelarten als Brutplatz. Darüber hinaus erfüllen sie zahlreiche weitere Funktionen wie Wind- und Lärmschutz. Tatsächlich sind gesunde Hecken in der freien Landschaft sehr selten geworden. Umso mehr dürfen, können und müssen heute Gärten diese Standort-Aufgabe übernehmen.
Grundsätzlich gibt es zwei Methoden, eine Hecke fürs eigene Grundstück zu gewinnen: Entweder man pflanzt eine oder lässt die Gehölze gewähren, die von sich aus den Weg aufs Grundstück finden und bringt diese schon während dieser Phase in eine Linie - denn dadurch zeichnen sich ja Hecken aus. Vögel und Säugetiere verbreiten Samen und Wildsträucher stellen sich bereits nach einer kurzen Phase von Brombeeren und Großer Brennnessel am gewählten Standort ein, doch in der Regel bleibt die Artenvielfalt einer solchen sich allmählich zur Hecke entwickelnden Einrichtung deutlich hinter der einer gepflanzten zurück - zumindest in den ersten Jahren -, denn durchs Pflanzen kann man von vornherein bestimmen, welche Arten man will. Entweder man besorgt sich die Pflanzen aus der näheren Umgebung (unter Berücksichtigung der Natur- und Artenschutzregelungen) oder kauft sie in einer ökologisch betriebenen Baumschule, die außerdem auf die genetische Herkunft ihrer Ware achtet. Natürlich kann man auch die Aussaat, Stecklings- und Steckholz-Vermehrung und Aufzucht der zukünftigen Mitglieder der Heckengemeinschaft selbst in die Hand nehmen. So kann man sich wenigstens absolut sicher sein über die Herkunft der Pflanzen.

DIETER J. MAIER: Sie setzten sich schon als Student intensiv mit der Verhaltensforschung von Konrad Lorenz und Bernhard Grzimek auseinander. Ist für Sie die Verhaltensbiologie der Versuch, das Entstehen bestimmter Verhaltensweisen im Verlauf der Stammesgeschichte, auch im Hinblick auf den Nutzen für das Individuum, zu erklären?

MICHA DUDEK: Ja, stimmt - eigentlich habe ich mich aber schon weit vorher mit Verhaltensforschung beschäftigt. Ich bin mit Tieren aufgewachsen und litt unter dem Konrad-Lorenz-Syndrom, wie ich es heute nenne: Ich wählte selbst im Umgang mit Haustieren stets die wildfarbenen aus...Während des Studiums bildete ich allerdings die Ausnahme, die sich mit dem Verhalten von Säugetieren auseinandersetzte. Tiere dieser Klasse werden bis heute leider nur selten als Bioindikatoren in der Landschaftsbewertung herangezogen.
Ganz sicher hat der jeweilige Zeitgeist ein Wort mitzureden, wenn es darum geht, was im Mittelpunkt des Interesses eines Heranwachsenden stehen kann. Charles Darwin widmete sich bereits früh der Käferkunde, dann der Geologie. Für den kleinen Konrad Lorenz war die Paläontologie anfänglich alles (und nach eigenen Angaben: sogar später noch). Moderne Biologen mögen sicher Evolution und Öko-Ethologie als erste wichtige Bausteine für ihre spätere Biologie-orientierte Denkweise anführen. Und zukünftige Naturwissenschaftler würden vielleicht ihren Fokus auf die Genetik, Epigenetik eventuell und andere mikrobiologische Felder, richten. Heutige Generationen profitieren oder haben die Lasten von ihren Vorgängern mitzutragen, wie immer und überall. Wir können natürliche gegenseitige Einflüsse heute als gegeben hinnehmen (wenn auch nur ansatzweise wirklich verstanden). Die Entwicklungslinie jeder Art muss auch immer im Kontext zu den Linien der anderen Arten gesehen werden. Umso selbstverständlicher kann nur die Entscheidung zugunsten des Naturgartens als einzige wirkliche und erträgliche Gartenform fallen, aus tiefem Respekt vor den natürlichen Entwicklungsprozessen - die wir verstehen mögen oder auch nicht. Dabei kann es enorm hilfreich sein, zu versuchen, die Perspektive von Kindern oder Wildbienen einzunehmen.

DIETER J. MAIER: Welcher tiefere Sinn steckt dahinter?

MICHA DUDEK: Haben Sie zum Beispiel gewusst, dass Kinder in ihren Vorstellungen von einem idealen Gartenbild wesentlich eher mit Wildbienen übereinstimmen als mit denen von Erwachsenen? Beide Lebensformen lieben offene, trocken-warme Sandbereiche, Mauern und einen hohen Totholz-Anteil. - Und wie könnte Naturschutz ohne Kinderschutz gelingen, und wie Kinderschutz ohne Naturschutz? Wer sich imstande sieht, sich über schlechtes Image und argwöhnische Nachbarn hinwegzusetzen, wird seinen Garten als Raum der wachsenden Vielfalt erleben, indem er die sogenannte Unordnung schafft und zulässt, die die eigentliche Ordnung ist. Schnell wird klar, dass diese Vorgehensweise für den Gartenbesitzer im herkömmlichen Sinne gewöhnungsbedürftig ist und eine neue Idealfindung voraussetzt: Mit dem gleichen Stolz, mit dem sie bislang die erste Rhododendronblüte im Jahr präsentiert haben, dürfen sie zukünftig auf Wiesenabschnitte, Totholzstrukturen und Laubhaufen zeigen!!! MEIN WILDER GARTEN soll Anreize geben, im eigenen Garten auf Entdeckungsreise zu gehen und helfen, die Voraussetzungen zu schaffen, nach bevorstehenden Exkursionen erfolgreich wieder heimzukehren. Denn gerade in den Gärten der Welt ruht ein gewaltiges Potenzial der Chancen, das Paradies auf Erden neu zu erschaffen.